bochum macht spaß
Foto: Volker Beushausen

ULLI ENGELBRECHT

GESPRÄCH MIT DEM BOCHUMER URGESTEIN

Interview:

Oliver Bartkowski

Fotos:Volker Beushausen

Ulli Engelbrecht ist ein Bochumer Urgestein und seit Jahrzehnten als Redakteur tätig (jahrelang für die WAZ im Bereich der Rockmusik). Die 70er Jahre waren seine Zeit und die Bands aus dieser Zeit hat er regelrecht studiert. Seine Bücher sind nicht nur witzig zu lesen, sie sind ein Leitfaden durch die Musik der 60er, 70er und 80er Jahre und sie enthalten jede Menge interessanter Hintergründe. Ulli erlebte wilde Konzerte und den Aufstieg der Zeche und einen grottenschlechten Udo Lindenberg in der Ruhrlandhalle. Wir sprachen mit ihm über Musik, Musik und natürlich...Musik.

Herr Engelbrecht, in ihrem neuen Buch „Mir brennen die Schläfen“ dreht es sich erneut um die Rock- und Popmusik der 70er- und 80er-Jahre. Wie sind Sie mit Musik infiziert worden und vor allem, was war denn die erste Schallplatte, die bei Ihnen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat?

Der erste beeindruckende Popsong meines Lebens war Penny Lane von den Beatles. Regte die Phantasie beim Lego-Spiel an und förderte früh und nachhaltig mein Interesse an jeglicher Tonkunst inklusive der fröhlichen Musik auf den Platten der elterlichen Polydor-Schlagerparaden-Sammlung. Meine erste eigene Langspielplatte? Amon Düül II, „Tanz der Lemminge“, psychedelische Musik als Doppel-LP. Da war ich gerade 15 Jahre alt. Ich konnte zunächst nicht viel damit anfangen. Zum Kauf verführt hatte mich der süßliche Geruch nach frischer Farbe. Der bunte Karton verströmte tatsächlich den Duft einer wilden Frische, so als ob das Cover gerade eben erst aus der Druckerpresse herausgefahren worden wäre. Das war 1972.

Auf dem Klappentext ihres Buches steht, Sie seien Schallplattenhörer in Bochum und Hamburg. Haben Sie dort einen zweiten Wohnsitz? Erklären Sie uns das?

Aus familiären Gründen zog ich vor fünf Jahren in den Hamburger Elbvorort Rissen. Seit Juli des vergangenen Jahres führten mich berufliche Gründe aber wieder zurück nach Bochum. Als Pendler erlebe ich nun regelmäßig zwei sehr unterschiedliche Kulturkreise, wobei mein Herz allerdings nach wie vor an Bochum hängt.

Wie kam es zu der Idee, ihre Liebe zur Musik auch in schriftlicher Form zu verewigen?

Das ging bereits Anfang der 90er-Jahre los, als ich gemeinsam mit Jürgen Boebers-Süßmann an der Idee herumbastelte, alles das, was uns geprägt und was wir mit der Musik erlebt haben, aufzuschreiben. So entstanden die Bücher „Licht aus – Spot an“ und „Skandal im Sperrbezirk“. Das waren Geschichten, Anekdoten, Stimmungsbilder – kurzweiliger Schmökerstoff. Den Leser*innen gefiel’s und in den Folgejahren wurde ich immer wieder mal gefragt, ob ich nicht noch ein paar Storys auf Lager hätte. 2009 setzte ich mich dann hin, um erneut in meinem Gedankenschrott zu kramen. Da hat sich schließlich über die vielen Jahre so viel angesammelt, was dann auch dringend abgefahren werden musste. Das Ergebnis findet sich derzeit in drei Büchern. Es ist im Übrigen nicht auszuschließen, dass es weitergehen wird, denn es gibt noch so Einiges zu erzählen.

Der Ruhrpott hat musikalisch viel zu bieten und auch in den 70er und 80er-   Jahren fanden in Bochum legendäre Konzerte statt. In den 80er- Jahren die „Monsters Of Rock“ oder „Künstler für den Frieden“ im Ruhrstadion. Eine spannende Zeit, welche Sie bestimmt geprägt hat, oder?

Also: An legendäre Konzerte im Bochum der 70er- Jahre kann ich mich nicht erinnern, abgesehen von Ton Steine Scherben, die 1972 im Schulzentrum Querenburg spielten, dem 1974er- Ruhrwiesen- Festival mit UFO, Hardin & York oder Grobschnitt, einem schlechten Udo- Lindenberg- Konzert in der Ruhrlandhalle, dem Liedermacherfestival mit Hannes Wader, Werner Lämmerhirt, Schobert & Black und Ulrich Roski oder den paar Konzerten mit Nektar, Can und Klaus Schulze im Schauspielhaus war nicht viel los. Da musste man schon nach Essen, in die Grugahalle. Das ging in unserer Stadt erst richtig los, als die „Zeche“ an der Prinz- Regent- Straße ihre Tore öffnete. Da gab es dann Rock im Überfluß! Ich war in den 80ern bei der WAZ in Bochum und habe fast sechs Jahre über Rockmusik geschrieben: Hintergrundberichte, Konzertkritiken und so weiter. Da habe ich schräge Bands erlebt, King Kurt zum Beispiel, die das Publikum mit Mehl und Eiern bewarfen, die Residents, etliche „kleine“ Rockpalast- Konzerte und vieles mehr. Die „Zeche“ war damals quasi mein zweites Zuhause. Das machte immensen Spaß.

In ihren Büchern spielen viele alte Bands eine Rolle: Pink Floyd, die legendären Amon Düül II, Kraftwerk, Wishbones Ash, Dire Straits, die Lords usw. Ich finde allerdings, dass auch die aktuelle Musikszene viel hergibt und es etwas schade ist, wenn man sich bei all der guten neuen Musik die auf den Markt kommt, zu sehr auf die Vergangenheit beschränkt. Die Blues Pills, Kadavar, tool, Alt-J, Rival Sons, Blackstone Cherry, alles Bands, die beachtliche Erfolge feiern. Beobachten und hören Sie auch Neues?

Ich bin ein Kind der frühen Rockjahre und erzähle Geschichten, die auch immer die Geschichten der anderen sind, die mit mir in dieser Zeit aufwuchsen. Als ehemaliger Tri- Top- Trinker und immer noch Trimm- Dich- Traumatisierter waren diese zwei Jahrzehnte für mich und einen Großteil meiner Generation prägend. Vor ein paar Jahren habe ich mich noch einmal hineingekniet und mich mit Biffy Clyro, Stone Sour, City And Colour, Little Hurricane, Stone Foxes, Beardfish oder State Radio beschäftigt. Das war ok, aber es ist eben so, dass Bands dieser Tage aus einem unglaublichen Rock- und Pop- Reservoir schöpfen können. Da passiert es dann oftmals, dass ich leider sagen muß: Nette Idee, kenne ich aber schon. Das ist keine Ignoranz, im Gegenteil: Ich finde es supergut, dass heute so viele Menschen musizieren, nur kann das Rad nicht mehr neu erfunden werden.

Immer wieder hört man die Aussage: Den Bands von heute fehlt das, was die Bands der 70er und 80er Jahre hatten. Das sehe ich nicht so. Wie beurteilen Sie das?

Man geht heute auf Nummer sicher, es wird weniger gewagt, da man die Musik schließlich auch verkaufen will. Das war damals anders. Natürlich wollten die auch verkaufen, allerdings haben die Bands viel mehr ausprobiert, musikalisch, wie auch bühnentechnisch. Ganz gleich was sie taten, es war ja alles neu, noch nie dagewesen, bahnbrechend. Endlos- Improvisationen bei Grateful Dead, 20-minütige Gitarrensoli in den frühen Werken von UFO, KISS in ihrer extremen Maskerade, der artistische und vielschichtige Stilmix in der Musik von Frank Zappa, die enervierende Fusionmusik von John McLaughlin, der emotionsgeladene Bluesrock von Rory Gallagher und so weiter. Das Alles waren Rock-Sternstunden für uns Pickelgesichter. Glattgebügelte Musik hingegen gab es sehr wenig, globalisierte Musik noch gar nicht. Rock, Blues, Jazz oder Experimentelles aus Norwegen, Holland, Frankreich, den USA, Deutschland, England, Spanien und sofort klang Alles sehr individuell. Das gibt es so heute nicht mehr.

Witzig ist der Teil des Buches, in welchem ihre Protagonistin Sabine und ihre Vorliebe der zum Teil gesichtslosen Eurodance-Musik ab Mitte der 90er Jahre verunglimpft wird. Waren die 90er Jahre im Rock ein verlorenes Jahrzehnt oder haben wir Vieles einfach nicht wahrgenommen?

Da kann ich Wenig zu sagen, denn es war nicht mehr meine Zeit. Die Euphorie für Nirvana, Oasis, die Red Hot Chili
Peppers oder Beastie Boys konnte ich nicht teilen. Das war für mich auch kein Rock, sondern eher Mainstream- Pop. Ich bin mir aber sicher: Der überdeckte garantiert zahlreiche interessante Entwicklungen, die eher ein Nieschendasein
führten. Ich beschäftigte mich damals mehr mit rock-historischen Besonderheiten und entdeckte schmissige Surf-Sounds, schnurrige Girlgroup- Schmonzetten, arti-fiziellen Progressive-Metal, orchestrale Swing- oder auch
coole Crooner-Kunst, die weit in die 40er-Jahre zurück-führten.

Vor einigen Monaten hatten wir ein spannendes Interview mit Fish, dem Sänger von Marillion im Heft. Ein gebildeter Mensch, der Viel und vor allem Sinnvolles zu sagen hatte. Bei Ihnen kommt die Band allerdings nicht so gut weg. Sie bezeichnen Marillion als nicht eigenständig und Genesis- Kopisten. Harte Worte für eine Band, der von namhaften Kritikern nachgesagt wird, dass sie möglicherweise die größte Rockband des Planeten geworden wäre, wenn Fish nicht ausgestiegen wäre. Sowohl Marillion ohne Fish mit neuem Sänger, als auch Fish solo sind heute noch sehr erfolgreich. Haben Sie sich mit der Aussage vielleicht zu weit aus dem Fenster gelehnt?

Das mag sein, aber als sie damals reüssierten waren sie tatsächlich nicht mehr als eine Genesis-Kopie. Ihren weiteren Werdegang habe ich nicht verfolgt.

Wenn man über die Bochumer Musikszene spricht, dann spricht der Volksmund zuerst über Grönemeyer, dann über Axel Rudi Pell, Frida Gold und der Metaller von früher auch gerne über Steeler. Mir gefällt aber heute noch ganz besonders Faithful Breath, die in den 70-er Jahren Krautrockerfolge feierten und später zur Metal-Kapelle mutierten. Wer ist ihr Favorit?

In Bochum gab es in den 70ern eine lebendige Musikszene. Wir hatten tolle Musiker in der Stadt, Pussy Krull und Stephen Keusch vor allem, beides hervorragende Gitarristen. Dann gab es da die Rockbands Cadum Baby, Llanfair, Bertha & Friends mit Sänger Uwe Fellensiek, die Latin-Rocker Brooklyn, die Jazz-Rocker Inner Temple, aus deren Dunstkreis sich später Fritz Brause gründete.
Die Prog-Rocker Epidaurus aus Langendreer bauten sich um ihre Musik ein Studio herum, was sich dann in den 80ern zu einer international angesagten Adresse für Plattenproduktionen entwickelte. Mein Favorit aus jenen Tagen? Auf jeden Fall der Stephen, spielt heute mit KRAY!.

Ihr Buch ist kurzweilig zu lesen, informativ und man entdeckt durchaus den ein oder anderen musikalischen Tipp. Wann sehen wir Sie live auf der Bühne?

Konkret gibt es einen Termin in Bochum am 15. November bei Jürgen Riering in der „Leseinsel“ im Kirchviertel, Brenscheder Straße 60a, um 20.00 Uhr. Des Weiteren gibt es zur Zeit Gespräche mit Buchhandlungen, Cafés und Kneipen. Da kommt auf jeden Fall noch etwas im nächsten Jahr.