bochum macht spaß

Carina Gödecke

Mit blau-weißem Herzen in Düsseldorf Ein Interview mit der Landtagspräsidentin

Foto: Carina Gödecke

Carina Gödecke ist seit 2012 NRW-Landtagspräsidentin und somit übt sie eine der wichtigsten Tätigkeiten mit höchster Verantwortung in unserem Bundesland aus. 1958 in Hessen, genauer in Groß-Gerau, geboren, zogen Ihre Eltern 1962 nach Bochum. Seitdem lebt sie her und liebt unsere Stadt. Bochum ist eindeutig ihre Heimat und ihr Herz schlägt blau-weiß. Wir sprachen mit Frau Gödecke über ihre Beziehung zu Bochum, ihre Tätigkeit in Düsseldorf und die angespannte politische Lage.

Fangen wir ganz vorne an Frau Gödecke. Als kleines Mädchen sind Sie mit Ihren Eltern nach Bochum gezogen. Was war der Grund?

Mein Vater hat Anfang der 1960er Jahre als Meister bei Opel das Werk in Bochum mit aufgebaut. Meine Eltern, mein zwei Jahre jüngerer Bruder und ich sind dann 1962 unmittelbar vor Weihnachten nach Bochum-Laer gezogen. Dort bin ich in den Kindergarten, danach in die Grundschule, die damals noch Volksschule war und auch in den Konfirmandenunterricht gegangen. Überall hin immer in Sichtweite des Opelwerks, in dem mein Vater so lange gearbeitet hat. Auch heute noch lebe ich in Laer und das sehr gerne.

Die Stadt haben Sie seitdem nicht mehr verlassen, außer aus beruflichen Gründen. Was macht Bochum für Sie so lebens- und liebenswert?

Bochum ist einfach eine ehrliche, tolerante, unkomplizierte und überhaupt nicht affektierte Stadt, in der man gut wohnen, leben, zur Schule gehen, studieren, arbeiten, Spaß haben und auch die Seele baumeln lassen kann. Außerdem ist Bochum eine Stadt, in der man wirklich an jeder Ecke etwas Liebenswertes entdecken kann. Man muss eben nur genau hinschauen. Unser Kunst- und Kulturangebot, die verschiedenen Bildungseinrichtungen, angefangen von der frühkindlichen Bildung, also den Kitas, bis hin zu den Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen, die vielen Sport- und Freizeitangebote und, und, und , all das ist mein Bochum. Bochum, das sind aber vor allem auch die Menschen, die hier genauso gerne leben wie ich. Die sind nämlich geradeaus und ehrlich und man kann hier schnell Freunde finden. Es ist einfach so, wie Herbert Grönemeyer es besungen hat: Bochum, ich komm aus dir. Bochum, ich häng an dir.

Angenommen Sie haben Freunde nach Bochum eingeladen und diese haben die Stadt noch nicht gesehen. Was würden Sie ihnen empfehlen?

Ich würde sagen: Komm, wir kaufen uns ein Tagesticket bei der Bogestra und fahren heute einfach mal kreuz- und quer durch unsere Stadt, damit ich Dir Alles zeigen kann. Zwischendrin essen wir im Bermudadreieck eine Currywurst von Dönninghaus, kaufen uns an einer der vielen Trinkhallen, die bei uns Bude heißen, eine Tüte voll gemischter „Kinderträume“, Schleckmuschel, Esspapier, Nappos, Brausebonbons, Salmiakpastillen oder was sonst noch gut schmeckt, steigen im Stadtpark auf den Bismarkturm, um Bochum von oben zu sehen, fahren im Bergbaumuseum unter Tage, um die Geschichte des Ruhrgebiets zu verstehen und am Ende des Tages gehen wir auf ein Fiege-Bier wieder ins Bermudadreieck.

Viele Bochumer sehen das Musikzentrum durchaus kritisch. Was ist Ihre Meinung dazu? War ein solches Haus nötig und wenn ja, warum?

Ja, ich halte das Musikzentrum für eine gute Entscheidung, gerade weil es ein Ort der Musik für alle Bochumerinnen und Bochumer sein wird. Es ist eine Proben-, Ausbildungs- und Spielstätte für unsere Symphoniker, aber vor allem auch für die Musikschule mit ihren rund 80 Ensembles. Darüber hinaus soll es ja ein Ort der Begegnung, ein Ort des kulturellen Austauschs, ein Ort für Aufführungen und Veranstaltungen der unterschiedlichsten Art sein. Ich glaube, dass es sich schnell zum kulturellen Treffpunkt im Herzen unserer Stadt entwickeln wird und man darf nicht vergessen, dass die Idee aus bürgerschaftlichen Engagement entstanden ist und genau dieses Engagement auch Motor war, um viele andere ins Boot zu holen. Allerdings gilt auch hier: Man soll das Eine tun, ohne das Andere zu lassen. Kulturpolitik in unserer Stadt muss weit mehr sein, als die Unterstützung des Musikzentrums.

Als Präsidentin des Landtags in NRW müssen Sie als Frau in Ihrer Funktion bestimmt doppelt so viel Power aufbringen, wie ein Mann in gleicher Position, oder?

Müssen? Das weiß ich gar nicht. Aber richtig ist, dass ich stets versuche, jede Aufgabe, die ich übernehme oder jede Funktion, in die ich gewählt wurde, mit vollem Einsatz anzugehen. Das gilt in ganz besonderem Maße für das Amt der Landtagspräsidentin. Landtagspräsidentin ist übrigens ein wunderschönes Amt, mit vielen Erfahrungen, vielen Begegnungen und Erlebnissen, die man im normalen Alltag kaum hat. Da kann man gar nicht anders, als sich „volle Kraft“ voraus zu

engagieren, denn das ist schon eine herausragende Funktion in Nordrhein-Westfalen, verbunden mit großer Verantwortung. Da dürfen die Kolleginnen und Kollegen und natürlich die Bürgerinnen und Bürger schon erwarten, dass man dieses Amt mit viel Power, Engagement und vor allem auch mit Freude ausübt.

Wir haben politisch schwere Zeiten. Haben Sie die Ergebnisse der AFD beunruhigt und was kann man tun um die Wähler zurück zu gewinnen?

Ja, die Wahlergebnisse der AfD beunruhigen mich, denn sie machen plakativ deutlich, dass viele Menschen mit den etablierten Parteien nicht mehr zufrieden sind, sich von ihnen abwenden und von ihnen enttäuscht sind. Ich finde die hohe Wählerzustimmung für die AfD aber vor allem deshalb besorgniserregend, weil die AfD eine Partei ist, die sich an ganz vielen Stellen mit meinem Verständnis einer modernen, demokratischen und toleranten Partei überhaupt nicht deckt. Ich sehe mit großer Sorge das offizielle Auftreten und konkrete Verhalten ganz vieler Repräsentanten dieser Partei, das immer wieder offen fremdenfeindlich ist und damit unsere Gesellschaft spalten will. Außerdem verbirgt sich in ihrem Partei- und Wahlprogramm jede Menge soziale Ungerechtigkeit, ein Frauen- und Familienbild von vorgestern und eine generell deutschnationalistische Einstellung, die nicht gut für die Demokratie ist. Der Schritt vom Rechtspopulismus zur Rechtsextremität ist oft nur ein sehr kleiner Schritt und wenn er innerhalb unserer Parlamente gegangen wird, ist er extrem demokratieschädlich. Das lehrt uns doch die deutsche Geschichte. Darin besteht die Gefahr der AfD als Partei in unseren Parlamenten.

Was muss getan werden, um die Flüchtlingsproblematik in den Griff zu bekommen und vor allem, was muss man tun, um unsere eigenen Bürger nicht noch mehr zu verärgern? Viele Menschen fühlen sich mit ihren Problemen alleine gelassen, während in den Medien nur noch die Flüchtlingspolitik ein Thema ist. Kindergeld, Bildungslücken, Rentenproblematiken etc. scheinen aus dem Fokus verschwunden zu sein

Das Jahr 2015 stand ganz im Zeichen der schnellen, massenhaften, unplanbaren und daher nicht wirklich zu steuernden Ankunft von über 1 Million Flüchtlingen und der Notwendigkeit Kinder, Frauen und Männer, die vor Krieg, Terror, Gewalt und Hunger geflohen sind, bei uns unterzubringen, ihnen zu helfen und sie zu begleiten. Da hat Nordrhein-Westfalen dank der Kommunen, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und der vielen, vielen Ehrenamtlichen Großartiges geleistet.

In diesem Jahr muss nun die große Herausforderung der Integration angegangen werden. Dazu diskutiert der Landtag gerade einen sehr umfassenden Integrationsplan, den SPD und Grüne erarbeitet haben. Darin wird sehr deutlich, dass wir unter anderem jetzt im Bereich der Bildung, der Arbeit und des Wohnens, Maßnahmen auf den Weg bringen müssen, die allen Menschen in Nordrhein-Westfalen zu Gute kommen müssen. Man nennt das die doppelte Integration, denn Nichts wäre schlimmer, als wenn verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt werden, wenn längst beschlossene kommunalpolitische Entscheidungen nicht verwirklicht werden könnten, weil das Geld dazu fehlt oder in die weitere Unterstützung der Geflüchteten fließen muss. Integration wird eine Aufgabe und Herausforderung für lange Zeit sein und ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Land und Kommune tun bereits sehr viel, auch finanziell, aber was wir dringend brauchen ist eine viel stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten. Flüchtlingsaufnahme und Integration sind eben eine gemeinsame Aufgabe. Es ist gut, dass viele Bundestagsabgeordnete das auch so sehen. Jetzt müssen es nur noch mehr werden, damit die gemeinsame Aufgabe auch gemeinsam finanziert wird.

Die beste Flüchtlingspolitik besteht aber in erster Linie darin, die Fluchtursachen zu bekämpfen und Alles daran zu setzen, dass Menschen in ihrer Heimat bleiben können. Es geht also auch um Fragen des Friedens, der Freiheit und der Demokratie in weiten Teilen der Welt und um die Frage, welchen Beitrag Deutschland leisten kann oder leisten muss. Das heißt, wir reden beispielsweise über Entwicklungshilfe, über Klimaschutz, über Energiepolitik, über unsere Verbraucher- und Konsumentengewohnheiten, aber auch über die Rüstungsindustrie und die Rüstungsexporte.

Vielen Dank für das Interview Frau Gödecke.

Sehr gerne, ich habe zu danken.

 

Interview: Oliver Bartkowski

Foto: Carina Gödecke