bochum macht spaß
Foto: Christoph Möschke

FRANK WEINREICH | LEKTOR AUS LEIDENSCHAFT

Text: Oliver Bartkowski
Fotos: Christoph Möschke

Foto: Christoph Möschke

FRANK WEINREICH | LEKTOR AUS LEIDENSCHAFT

Klar, dass in einer Stadt wie Bochum, in der Kultur Teil ihrer DNA ist, auch Bücher entstehen. Ein unverzichtbarer Bestandteil der Buchproduktion ist das Lektorat, das Bücher korrigiert, stilistisch verbessert, Fakten checkt und das Produkt insgesamt veredelt. Bochum macht Spaß hat sich aus diesem Grund einmal mit einem solchen Lektor zusammengesetzt: Dr. Frank Weinreich, Jahrgang ‘62, der nach seinem Studium an der Ruhr-Universität seit einem Vierteljahrhundert in Bochum als freier Lektor tätig ist und ab und an auch eigene Bücher und Artikel publiziert, zuletzt etwa den Bildband „Auenland und Düsterwald“, der im Oktober erscheint.

Herr Weinreich, seit wann lesen Sie eigentlich so gerne?
Seit meine Mutter das Vorlesen beim I-Dötzchen aufgeben durfte, weil der endlich selbst lesen konnte, und zwar gleich den ganz harten Stoff von Karl May; „Winnetou“ und so. Im Ernst, Bücher und Geschichten begleiten mich mein ganzes Leben.

Betrifft das nur das Lesen oder haben Sie auch früh angefangen selbst zu schreiben?
Ich habe in der Tat als Schüler, damals noch in Dinslaken, wo ich aufwuchs, schon geschrieben, fürs Theater und Kabarett. Dann folgten jedoch fünfzehn Jahre der Arbeit als Krankenpfleger in Essen und Bochum und als Philosophiestudent an der RUB. Gegen Ende des Studiums bin ich erst wieder ans Schreiben gekommen: meine Doktorarbeit … und danach über einhundert Artikel und Bücher; meist Sekundärliteratur, aber auch ein paar Kurzgeschichten.

Wie wird man denn eigentlich Lektor?
Auf verschiedenste Weise, da es keine verbindlich geregelte Ausbildung gibt. Die Berufsbezeichnung ist übrigens auch nicht geschützt. Die meisten Kolleginnen und Kollegen absolvieren jedoch ein Literatur- oder Sprachenstudium gefolgt von einem Verlagsvolontariat. Ich aber habe als Dozent an der Uni damit angefangen, populärwissenschaftliche Artikel zu veröffentlichen, und bin dann von meinem ersten Verlag angesprochen worden, ob ich mir nicht auch das Lektorieren vorstellen könne, wo ich doch schon so viel über Fantasy und Science Fiction wisse und gut schreibe. Auf diese Weise ‚entdeckt‘ zu werden hat allerdings viel mit Glück zu tun; sicherer ist es, früh mit Praktika in Verlagen und bei Zeitschriften anzufangen.

Kommen die Verlage auf Sie zu oder war es zu Beginn Ihrer Karriere ein ständiges Klinkenputzen?
Ich hatte wieder viel Glück und habe mich nie irgendwo bewerben oder Kaltakquise betreiben müssen. Normalerweise erfordert es allerdings in diesem Metier viel mehr Eigeninitiative, Kunden zu finden. Wenn ich jedoch die Zeit einrechne, die mich die Recherche und das Schreiben gekostet haben … Dadurch habe ich mir den Namen gemacht, der dazu führte, dass ich angesprochen werde und nicht selbst ansprechen muss. Von nix kommt eben nix. (lacht)

Worauf kommt es beim Lektorat besonders an und wie gestaltet sich dabei die Zusammenarbeit mit den Autoren, die ja möglicherweise keinen Handlungsbedarf an ihrem Werk sehen?
Man muss alle Fehler erkennen, stilsicher sein, umfassendes Allgemeinwissen haben und und und – heißt es. Und das stimmt natürlich auch. Aber vor allem muss man sich in Text und Autorin einfühlen können. Man muss erspüren, was auf welche Weise erzählt werden soll, aber auch sollte, denn der Wurm (Text) muss dem Fisch (Publikum) schmecken, nicht dem Angler. Wenn das klappt, begrüßen auch die Autorinnen und Autoren die Änderungen. Dadurch ist es bei der großen Mehrheit der Texte so, dass das mit der Anerkenntnis des Handlungsbedarfs gar kein Problem ist und man als Lektor eher Dankbarkeit als Skepsis erntet. Viele in meinem Job und auch ich selbst haben sehr gute Verhältnisse zu unseren ‚Lieferanten‘, die oftmals sogar in Freundschaften münden.

Sind auch schon mal Veröffentlichungen gescheitert, weil der Autor oder die Autorin alles ganz anders gesehen hat?
Nein. Und das höre ich von den Kolleginnen und Kollegen auch nicht. Es scheint also wirklich kein Problem zu sein.

Nehmen wir als Beispiel ein Buch von 400 Seiten. Wie lange lektorieren Sie daran?
Das ist sehr unterschiedlich, weil ich mal weniger als fünf, mal fünfzehn Seiten pro Stunde schaffe, je nach Ausgangsmaterial. Deshalb fertige ich bei Neukunden auch immer ein Probelektorat an und kalkuliere neue Projekte individuell.

Welche Rolle spielt der Verlag letztendlich beim Lektorat? Gibt es spezielle Wünsche zu beachten, wenn es an der Dramaturgie hapert?
Jeder Verlag hat seine Eigenheiten, die aber meist auch schriftlich in Form eines Handouts von Vorgaben niedergelegt sind. Da hält man sich eben dran. Aber das eine oder andere Mal konnte ich Verlage auch schon zu Änderungen ihrer Vorgaben animieren, denn manche Eigenheit ist ein bisschen zu eigen. Dramaturgische Fragen diskutiert man nicht mit dem Verlag, sondern mit dem Autor, der Autorin und kann dann hoffentlich überzeugen. Aber letztlich steht jeder Text in der Verantwortung des- oder derjenigen, die ihn geschrieben hat. Aber dass da jemand auf Dingen besteht, die der Verlag nicht tragen kann oder will, habe ich noch nicht erlebt. Was anderes ist es manchmal mit Selfpublishern, von denen es übrigens ganz tolle gibt. Aber die hält man in seltenen Fällen nicht auf, wenn sie sich etwas nicht so Überzeugendes in den Kopf gesetzt haben.

Welche Genres bevorzugen Sie persönlich?
Ich arbeite meist mit Spannungsliteratur und Fantastik, also Thriller, Krimi, Fantasy, Science Fiction, Horror. All das, was ich selbst seit Karl May am liebsten lese. Ich habe aber auch schon Softpornos lektoriert und Kataloge korrigiert. Ich freue mich über Abwechslung.

Wie groß ist denn der Drang, privat noch zu lesen oder selbst zu schreiben, wenn man einen Job hat wie Sie?
Ich lese immer noch und mit Begeisterung ein, zwei Bücher pro Woche ganz allein für mich. Nur mit dem Schreiben … da fehlt mir des Öfteren die Power und ich schaffe nicht, was ich eigentlich gerne noch zu Tastatur bringen würde.

Sie leben schon seit langer Zeit in Bochum. Da müsste Ihnen doch das Herz aufgehen bei den vielen kulturellen Möglichkeiten, die es hier gibt, oder?
Ich kann mir ja schon einen Lebensabend auf Madeira vorstellen, aber in Deutschland möchte und werde ich nie woanders wohnen als hier. („Woanders is‘ auch scheiße“, wie es ja so schön heißt.) Und dabei ist das kulturelle Leben zwischen Musikforum, Schauspielhaus und tausend Musikund Kleinkunststätten ein entscheidender Grund, warum es sich hier so gut lebt.

Gibt es einen Ort, den Sie in Bochum besonders lieben?
Mehrere, etwa den Zoo, den Chinesischen Garten an der Uni oder Haus Weitmar. (lacht) Aber wenn ich einen herauspicken muss … Ich publiziere gerade mit dem Schweizer Fotografen Andreas Gerth einen Bildband über die Landschaften von Tolkiens Welt Mittelerde. Wenn Sie im Herbst bei Sonnenaufgang in Dahlhausen an die Ruhr gehen, dann sieht es im sich lichtenden Morgennebel aus wie am Großen Fluss in „Der Herr der Ringe“. Und wer würde sowas schon mitten im Pott vermuten?

Vielen Dank für das Interview.

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